D. Schulte: Die zerstörte Stadt

Cover
Titel
Die zerstörte Stadt. Katastrophen in den schweizerischen Bilderchroniken des 15. und 16. Jahrhunderts


Autor(en)
Schulte, Daniela
Reihe
Medienwandel - Medienwechsel - Medienwissen 41
Erschienen
Zürich 2020: Chronos Verlag
Preis
CHF 48.00; EUR 48.00
von
Elena Magli

Katastrophenerzählungen waren ein wiederkehrendes Thema städtischer Geschichtsschreibung, und dies obwohl sie in einem Spannungsverhältnis zum bevorzugten Weltbild historischer Stabilität und Ordnung standen. Daniela Schulte analysiert dieses Spannungsverhältnis anhand der Schweizer Bilderchroniken des 15. und 16. Jahrhunderts und fragt, wie Stadtzerstörungen als geschichtsträchtige Momente konstruiert, sinngebend gedeutet und in das zu vermittelnde Weltbild eingeordnet wurden. Sie geht damit auch der Rolle der Stadtchronistik in der Überlieferung von Katastrophen nach. Die Dissertationsschrift entstand im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunktes «Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen. Historische Perspektiven» und wurde 2017 an der Universität Zürich verteidigt.

Schulte konzentriert sich auf die Vermittlung von durch Brand-, Hochwasser- und Erdbebenkatastrophen zerstörten Städten. Sie verwendet den Begriff der Katastrophe dabei als Analysekategorie für «mehrdimensionale, soziale Phänomene» (S. 14), welche plötzlich eintreffen und tiefgreifende Veränderungen der Lebenswelt mit sich bringen. Die damit einhergehende Kontingenzerfahrung benötigt eine sinnstiftende Integration in die bereits vorhandene Geschichtsvorstellung. Der Fokus auf Stadtzerstörungen aus dem eidgenössischen Raum ergibt sich dabei aus dem inhaltlichen Schwerpunkt der Bilderchroniken. Aufgrund ihrer besonders hohen Anzahl von Zerstörungsabbildungen betrachtet Schulte vor allem die Werke von Diebold Schilling d. Ä., Diebold Schilling d. J., Werner Schodoler und Christoph Silberysen, allesamt handschriftliche Werke, sowie die gedruckten Chroniken von Johannes Stumpf und Christian Wurstisen.

Die Arbeit gliedert sich in drei Teile. Im ersten Hauptkapitel stellt Schulte ihre Quellen und deren Funktionsweisen vor. Sie formuliert grundsätzliche Beobachtungen zur Interaktion von Text und Bild, verfolgt die Abhängigkeiten der Werke voneinander sowie die Tradierung von Katastrophen in der Geschichtsschreibung und betont die Rolle der Bilderchroniken innerhalb des kollektiven Erinnerungsprozesses. Sie zeigt dies exemplarisch anhand des Basler Erdbebens von 1356 auf, dessen Stellung als zentrales Ereignis der Basler Stadtgeschichte mehr als 200 Jahre später in Christian Wurstisens Chronik gefestigt wurde.

Im zweiten Teil widmet sich Schulte dem Stellenwert und den Typen von Katastrophen in den Bilderchroniken und erarbeitet die spezifischen Vermittlungsstrategien ihrer Quellen im Umgang mit Stadtzerstörungen. Die Erwähnung von Katastrophen nahm in den gedruckten Chroniken des 16. Jahrhunderts zu, sie schilderten sie aber weniger detailliert als die Werke des 15. Jahrhunderts. Eine differenzierte Begründung dafür liefert die Autorin nicht. Stadtbrände wurden besonders häufig wiedergegeben, so bewertete beispielsweise die Berner Chronistik den grossen Brand von 1405 als ein stadtgeschichtliches Schlüsselereignis und gab ihm entsprechend viel Raum. Im 16. Jahrhundert nahmen dann auch die Erwähnungen von Erbeben und Hochwasser zu. Extreme Wetterphänomene wie Hagelunwetter wurden dagegen nur in Ausnahmefällen festgehalten. Die Zerstörung einer Stadt durch Krieg sieht die Autorin im Kontext ihrer Quellen nicht als Katastrophenbericht an. Dies weil Kriegsberichte – Hauptthema in allen Bilderchroniken – meistens aus der Perspektive des Siegers im Sinne eines gerechten Krieges erzählt und dafür andere Vermittlungsstrategien verwendet wurden.

Die Autorin arbeitet vier Vermittlungsstrategien für Katastrophenereignisse heraus, die sie anhand von repräsentativen Beispielen ausführlich vorstellt. Die diskutierten Bilder sind durch Abzüge zugänglich gemacht. Zu den Vermittlungsstrategien gehört das Erzeugen von Aufmerksamkeit, beispielsweise durch die Verbildlichung des Ereignisses und durch die Wiederverwendung topischer Bildelemente wie etwa abknickende Türme bei Erdbeben. Weiter sind die Verortung der Katastrophe in Zeit und Raum, eine dramatisierende Katastrophenrhetorik und die Emotionalisierung der Ereignisse zentrale und wiederkehrende Vermittlungsstrategien.

Der dritte Teil analysiert, wie Katastrophen interpretiert und sinnstiftend in das vorhandene Narrativ eingeordnet wurden. Da Katastrophen gemäss Schulte zum Bruch der stabilen Ordnung führten, bedurfte es einer besonderen Sinnstiftung, um ebendiese wiederherzustellen. Neben den zu erwartenden Sinngebungen durch göttliche Einwirkung, und bei Brandkatastrophen der Suche nach menschlichen Verursachern, erarbeitet die Autorin die wichtige Funktion, die der Stadtgemeinschaft zugedacht wurde. So wurde gerne gezeigt, wie die Stadtbewohnerinnen und -bewohner die Katastrophe gemeinsam durchlebten, bekämpften und in anschliessenden Prozessionen als Heilsgemeinschaft auftraten. Als besonders sinnstiftend bewertet die Autorin Darstellungen der kommunalen Anstrengung zum Wiederaufbau. Die Kontingenzerfahrung der Katastrophe wurde durch die darauf erfolgte Erfahrung der Wirkmächtigkeit sowie Stabilität der städtischen Gemeinschaft erinnerungswürdig und konnte sinnvoll in das vorhandene Weltbild eingeordnet werden.

Es gelingt der Autorin, Aspekte der historischen Katastrophenforschung mit medialen Perspektiven und historiographischen Fragestellungen zu verbinden. Die additive Darstellungsweise macht es der LeserIn teilweise schwer, der Argumentation der Autorin zu folgen, eine stärkere Bewertung der eigenen Ergebnisse wäre wünschenswert gewesen. Insgesamt zeigt die Dissertationsschrift aber einleuchtend auf, wie durch katastrophale Ereignisse herbeigeführte Stadtzerstörungen durch unterschiedliche darstellerische Techniken sinnvoll in das historische Narrativ integriert werden konnten.

Zitierweise:
Magli, Elena: Rezension zu: Schulte, Daniela: Die zerstörte Stadt. Katastrophen in den schweizerischen Bilderchroniken des 15. und 16. Jahrhunderts, Zürich 2020. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (1), 2021, S. 168-170. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00080>.

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